Das Riesenradexperiment
Im südlichsten Punkt der Berliner Ringbahn haben wir unsere Versuchsreihe, genannt Riesenradexperiment, gestartet, um den Faktor Sonne auf einen bekannten Personenbeschleuniger zu testen. Die Trägheit der Masse ist auf den Anzeigetafeln gut ablesbar. Davon gingen wir aus. Nur wenige haben 2 x 6, ein paar haben 2 x 4, die meisten 2 x 8 und alle 2 x 10 gemacht. Wenn man ein System hat, kann man sich ausrechnen, wie lange man braucht. Spontaneität bringt nichts. Alle Entscheidungen müssen auf einen überprüfbaren Einsatz zurückzuführen sein. „Zum Westkreuz drüben!“ Intervalle ohne Zugzwang sind atemberaubend. Also man muss höllisch aufpassen. Man lässt sich auch schnell ablenken. Jemand kam und fragte, ob wir seine Freundin gesehen hätten. „Die steigt früher aus. Sie hat ihr eigenes System: 3:3:1. Funktioniert ganz gut.“ Verrückt, könnte man meinen, aber die Leute fahren nicht kopflos. Der Mann mit dem gelben Hut saß schon eine Weile auf der Viererbank und meinte auf einmal zu uns, wenn er jetzt einstiege, versaue er sich den Schnitt. „Ich bleibe lieber noch ein wenig hier. Morgens kann man sich auf die Zeiten noch verlassen. Die stimmen fast immer haargenau. Wenn es heute klappt, mache ich 2 x 8 und dann umsteigen, wenn nicht, habe ich verloren.“
Zwei Wachleute hat die Zentrale geschickt. Die kommen auf uns zu. Wir dürfen uns hier nicht unberechtigt aufhalten. Mit der Karte können wir fahren, so viel wir wollen. „Wartezeiten sind begrenzt. Verlassen Sie die Anlage oder steigen Sie wieder in den nächsten ein.“ Einer der beiden war Raucher. Der hatte es eilig. Nur noch vier Minuten bis zum nächsten Zug.
Als die beiden am Bahnsteigende angelangt waren und einer seine Zigarette anzündete, kam der schon nächste Zug und unser Versuch begann. Wir achteten auf Ev. Alle schauen immerzu irgendwo hin. Sie drückte den selbstklebenden Windtrichter, der die Flyer verteilt, neben einer Fensterfront der gerade anhaltenden S-Bahn. Es war Ev’s zweiter Versuch. Ihre Bewegungen saßen exakt. Daran war wirklich nichts auszusetzen. Wir konnten in den Abteilwagen schauen. Alle nahmen von der Aktion Notiz. Schauten gleichgültig zu. Oder auch nicht. Wer weiß das schon zu sagen. Jeder ist halt in einer Warteschleife mit sich selbst beschäftigt. Bis man wo angelangt. Scheinbar reglos und doch völlig aktiv, ist jeder in Gedanken schon woanders, bei dem nächsten Sonnenurlaub oder sonst was. Nur wenn man genauer hinschaute, konnte man bei der wieder anfahrenden Bahn sehen, wie Sonnenwinde durch die Nasenlöcher der Fahrgäste blasen, wir registrieren die sonnenhaften Fernwirkungen im Nahverkehr, kleine kaum wahrnehmbare Eruptionen des nicht mehr genormten Alltags, während unsere Flugblätter draußen davoneilten. Heute mit einer normal zu nennenden Windstärke: 5,5. Wir werden die Versuche mit dem Riesenrad, mal horizontal, mal vertikal, vielleicht auch in einem Durchgang fortsetzen.
Berlin, Februar 2013
The big wheel experiment
We have started our test series, the big wheel experiment, at the most southern point of the Berliner circular railway, the so called “Ringbahn”, in order to test the factor sun on a known person accelerator. The inertia of masses is well readable on the indicator panels. We assumed that. Only a few have 2×6, some have 2×4, most have 2×8 and all make 2×10. With a system you can calculate how long it will take. Spontaneity gives nothing. All decisions have to be traced back to a variable element. “To Westkreuz over there!” Intervals without any compulsion to move on are breathtaking. One has to be very careful. One becomes distracted easily. Someone came to us asking whether we had seen his girlfriend. “She gets off earlier. She has her own system: 3:3:1. Works well.” One could assume that is crazy, but people are not riding without certain intentions. The man with the yellow head had already been sitting on the bench for a while and once said to us, that if he would get on the train now, he would mess up his average. “I prefer to stay here a little longer. In the morning one can still rely on the schedule. They mostly are accurate. If it works today, I´ll make 2×8 and then change, if not I have lost.”
The headquarter has sent two security guards. They approach towards us. We cannot stay here without a permission. With our ticket we are allowed to ride as much as we want. “Waiting times are restricted. Leave the facility or get on the next train.” One of them was a smoker. He was in a hurry. Only four minutes left until the next train.
When the two arrived at the end of the platform and one lighted his cigarette the next train already arrived and our experiment began. We all were paying attention to Ev. Everyone always looks somewhere. She had put the self-made wind funnel, that distributes the flyers, next to a window of the stopping train. It was her second try. Her movements were accurate. There was nothing wrong with it. We could look into the train compartment. All passengers remarked our action. Looked at it indifferently. Or not, who can tell. Everyone is self-absorbed in a wait loop. Until one arrives somewhere. Apparently motionless but fully active, everyone already is elsewhere in his mind, in a daydream at the next sunny holiday or whatever. Only if taking a closer look one could see how sun winds where blowing through the passengers nostrils. We register the sun connected long-distance effects on the short-distance traffic, little and hardly noticeable eruptions of the no more standardized everyday life, while our flyers are blown away. Today with a normal wind force: 5,5. We will continue the experiments with the big wheel, once horizontal, then vertical, maybe in a passageway.
Berlin, February 2013